Der Darm wurde in der Medizin zu lange nur als langer Schlauch zur Beförderung von Nahrung betrachtet. Die schulmedizinische Forschung hat in den letzten Jahren den Darm neu für sich entdeckt. “Der Tod sitzt im Darm” sagte jedoch schon Hippokrates. Der Darm ist mit seinem acht Meter langen Muskelschlauch, der es mit zahllosen Zotten und Ausstülpungen auf die riesige Oberfläche von 300 Quadratmetern bringt, größer als ein Tennisplatz und neben dem Gehirn mit die bedeutendste Schaltzentrale im Körper.
Der Darm als zweites Gehirn
Tatsächlich verfügt der Darm über eine ungewöhnliche Fähigkeit: legt man den Darm von Mäusen oder Ratten in eine Petrischale, so führt er seine Arbeit fort. Das bedeutet, dass er als einziges Organ im Körper keine Steuerung durch das Gehirn braucht. Evolutionär betrachtet ist das Nervensystem des menschlichen Darms verwandt mit dem Bauchnervenstrang des Regenwurms. Diese Tiere verlassen sich hauptsächlich auf die Nervenbahnen in ihrem Bauch, die sich in regelmäßigen Abständen nach rechts und links verzweigen. Bei der Entwicklung des Embryos im Mutterleib zeigt sich sogar, dass das Nervenzentrum im Darm sogar aus demselben Gewebe wie das Gehirn entsteht. Es ist durchzogen von zahllosen millimeterkleinen Schaltkreisen, die den Weitertransport der Nahrung organisieren. Dies liefert einen ersten Hinweis auf den Begriff Darm-Hirn oder Zweites Hirn.
Darm-und Kopf-Hirn haben eine weitere Gemeinsamkeit: Beide verfügen über dieselben Nervenzell-Typen und sämtliche 30 Neurotransmitter des Gehirns strömen auch durch den Darm – Dopamin, Gamma-Aminobuttersäure (GABA), Serotonin und viele andere. Diese kann man sich vorstellen, wie die Worte mit deren Hilfe das Darm-Hirn ständig mit dem Kopf-Hirn spricht. Nerven bringen Informationen aus dem Darm in das Gehirn. Auch werden Mediatoren im Darm-Gewebe produziert, die auch das Gehirn erreichen. Mit dem komplexen Signalwegen zwischen Gehirn und Darm befasst sich das Gebiet der Neurogastroenterologie.  Der Vagusnerv verknüpft Gehirn und Darm direkt miteinander. Allerdings hielten Ärzte diesen Nerv lange für eine Art Megaphon, also ein Kommunikationsmittel des Gehirns an den Darm. Heute ist klar: über 90 Prozent der Informationen funkt der Darm an das Gehirn.
Die Funktion von Mikrobiomen
Die Darmzellen, Nervenstränge, Immunzellen sind jedoch nicht allein, denn der menschlichen Dickdarm ist das am dichtesten besiedelten Ökosystem, das die Forschung überhaupt kennt. In jedem Gramm Darminhalt leben mehr Mikroben als Menschen auf der Erde. Das sogenannte Mikrobiom besteht aus insgesamt 100 Billionen Einzellern. DNA-Analysen lassen über 1000 unterschiedliche Arten erkennen, pro Mensch sind es zwei- bis fünfhundert in einer höchst individuellen Mischung. Mehr als die Hälfte dieser Arten lässt sich bislang nicht künstlich kultivieren.
Inzwischen wird immer klarer, dass die Darm-Mikroben sowohl für die Gesundheit als auch für die Psyche eine entscheidende Rolle spielen. Primär helfen Darmbakterien bei der Verdauung, trainieren das Immunsystem und halten Krankheitserreger in Schach. Im Januar 2019 veröffentlichten Forscher, dass in den Stuhlproben depressiver Patienten deutlich weniger Bakterien der Gattungen Coprococcus und Dialister zu finden waren als in den Proben gesunder Projektteilnehmer. Dies ist bislang eine simple Wechselbeziehung und bedarf weiterer umfassender Studien, aber dennoch ist seit langem bekannt, dass die Psyche und der Darm in einer engen Verbindung stehen.
Studien zufolge zeigen, dass das Mikrobiom im Darm unser soziales Verhalten und unsere Empfindungen (mit)steuert. Der Stressforscher John Cryan (Neurowissenschaftler am University College Cork in Irland) sagt, dass das Gehirn in fast jeder Hinsicht von Veränderungen des Mikrobioms beeinflusst wird. Forscher aus den USA haben gezeigt, dass Mäuse sich ohne ihr Mikrobiom seltsam und verändert verhalten. Sie suchten nicht mehr den Kontakt zu ihren Artgenossen und interessierten sich auch nicht mehr für unbekannte neue Mäuse. Es wurde außerdem herausgefunden, dass die Verabreichung eines einzigen Lactobacillus-Stammes ausreichte, um die sozialen Defizite einiger Mäuse zu lindern. Diese Erfolge bieten eine Perspektive für verschiedene Krankheitsbilder des Sozialverhaltens, z. B. Autismus, soziale Angststörungen oder Schizophrenie.
Darmbakterien
Darmbakterien sind wichtige Bausteine für Neurotransmitter wie Serotonin, Dopamin und GABA, von denen alle eine wichtige Rolle für die Stimmung spielen. Ist die Darmflora nicht intakt, kann das die Produktion bzw. die Umwandlung in die wichtigen Neurotransmitter negativ beeinflussen. Im Falle des Neurotransmitters GABA ist das vor allem gegen die Symptome von Stress und für einen erholsamen Schlaf wichtig. GABA wird nur durch die Bakterien im Darm richtig synthetisiert und ist dafür verantwortlich, dass die Reizweiterleitung der Nerven eingedämpft wird und man so gut schlafen kann. Besonders interessant wird es, wenn man sich den Zusammenhang von Serotonin und dem Darm anschaut. Das Darmbakterium Bifidobacterium infantis bildet Tryptophan, einen Grundbaustein für das Glückshormon Serotonin. Über 95 % der Bausteine für das Glückshormon werden nämlich im Darm und nicht wie häufig fälschlich angenommen im Gehirn, produziert.
Ein weiterer Faktor, der sich nach Neurowissenschaftler John Cryan auf das Mikrobiom insbesondere von Kindern auswirkt, ist die Geburt. In einer natürlichen Geburt gerät ein Baby in Kontakt mit den Mikroben der mütterlichen Vagina , welches mindestens sechs Monate und teilweise vier Jahre nach der Geburt einen positiven Effekt auf das Mikrobiom der Kinder hat. Dies zeigten Studien, welche die Mikrobiome von Kaiserschnitt- und natürlichen Geburten untersuchte. Diese Studien zeigen auch, dass das Risiko für immunbedingte Erkrankungen, wie z. B. Allergien und Diabetes Typ 1 unter Kaiserschnittbabys erhöht sind. Das veränderte Mikrobiom der Kinder aus natürlichen Geburten entwickelt andere Signale an das Immunsystem, welche diesen Krankheiten vorzubeugen zu scheinen. Auch die Muttermilch hat einen Einfluss auf das Mikrobiom der Kinder, da diese komplexe Zucker enthält, welche vom Säugling selbst nicht abgebaut werden können.
Ein Nebenbefund der Studien von Cryan zeigt, dass Antibiotika-Therapien, durch ihren radikalen Kahlschlag von Bakterien und damit auch vom Mikrobiom, auch auf das Gemüt schlagen können.
Wie kann man das Mikrobiom unterstützen?
Ein gesundes Mikrobiom ist die Basis für eine erfolgreiche Therapie von verschiedenen Erkrankungen, insbesondere dem großen Gebiet der Entzündungen. Zunächst ist es wichtig zu wissen, was in Ihrem Mikrobiom vor sich geht, hierfür eignen sich besonders Stuhluntersuchungen. Im Anschluss können wir durch verschiedene durch Studien belegte natürliche Therapeutika Ihr Mikrobiom und Ihren Darm gezielt aufbauen, um so Ihr Immunsystem und Ihre Psyche zu stärken.
Quellen
- Der Spiegel (2019): Die Patienten können selbst etwas beitragen zu ihrer seelischen Gesundung. Gespräch mit Dr. John Cryan. Nr. 33, S. 94-98.
- Konturek, P.C. & Zopf, Y. MMW: Darmmikrobiom und Psyche: der Paradigmenwechsel im Konzept der Hirn-Darm-Achse. In:Â Fortschritte der Medizin (2016) 158 (Suppl 4): 12.
- Moser, Dr. Gabriele.: Brain-Gut-Achse: Stress und seine Wirkung auf den Verdauungstrakt. In: Journal für Gastroenterologische und Hepatologische Erkrankungen. Fachzeitschrift für Erkrankungen des Verdauungstraktes. 2009.
1 Kommentar. Hinterlasse eine Antwort
Dies ist eine bedeutende Ausfuehrung von Zusammenhaengen, deren Bedeutung hinreichen mag bis hin zu ME/CFS. Das Mikrobiom ist auf vielfaeltige Weise und wohl nicht nur physisch zu beeintraechtigen.
Wenig bedachte Ausloeser fuer ME/CFS moegen in auch ploetzlich eingetretener Imbalance des Mikrobioms liegen. Dr.med.Hamer hat in diese Richtung gewiesen mit dem Erklaerungsgebaeude seines Medizinverstaendnisses. Dem Institut Breidenbach und Vorgaengergruender gebuehren respektvolle Beachtung und Anerkennung
fuer umfaengliche Naehe zu aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnissen und die Uebernahme in die therapeutischen Ansaetze.Das Wissen um die Bedeutung. der Darm-Hirn-Achs gehoert dazu und kann nicht hoch genug eingeschaetzt werden.Diesbezueglicher Artikel bildet zu Recht Vertrauen in die therapeutische Arbeit.
Claud, Koeln 8.03.20